Gähnen, unwillkürlich den Mund weit aufsperren und die Luft einziehen und ausstoßen

Der streitbare irische Schriftsteller Oscar Wilde prangerte mit wenig Mitgefühl und kaum zu überbietender Direktheit das mangelnde Niveau einiger seiner Berufskollegen an: „Es gibt Theaterstücke, die so schlecht sind, dass man nicht pfeifen kann, weil man gähnen muss.“ Der kuriose Effekt, dass Gähnen oftmals ansteckend wirkt, lässt sich auf die Spiegelneurone in unserem Gehirn zurückführen, welche dafür sorgen, dass wir mit anderen Mitleid empfinden und weinen, wenn jemand weint, oder lachen, wenn jemand lacht.

Wer sich gut in andere Menschen hineinversetzen kann, ist somit tendenziell anfälliger für das Mitgähnen. Im Umkehrschluss konnte in wissenschaftlichen Studien bewiesen werden, dass Menschen mit niedriger Sozialkompetenz – im Extremfall: Psychopathen, die kein Mitleid empfinden – weniger gähnen. Diese zwischenmenschliche Besonderheit des „Ansteckens“ hat sich auf mallorquí in der zweigleisigen Redewendung verewigt, dass „beim Kratzen und Gähnen der Anfang alles ist“ (Gratar i badallar, tot és començar) – weiter geht es ohnehin von allein.

Der Ursprung des Wortes „gähnen“ liegt im Mittelhochdeutschen „ginen“, welches unter anderem lautmalend für das heisere Ausfauchen der Gans verwendet wurde. Der englische Essayist G. K. Chesterton definierte das Gähnen feinsinnig „als stummen Aufschrei“. Im Wesentlichen gibt es zwei Auslöser: „Gähnen lügt nie, sei es Müdigkeit oder Hunger“ (Badall mai ment, o son o talent). Handelt es sich dabei um Letzteres, so lautet eine hiesige Redewendung, dass man als Resultat eines gähnend leeren Magens „mehr gähnt als rülpst“ (Fer més badalls que rots).

Der bekannte lateinische Sinnspruch „Carpe diem“ erfuhr durch den französischen Schriftsteller Stendhal eine zeitgemäße Aktualisierung: „Das Leben ist kurz und die Zeit, die wir durch Gähnen verbracht haben, kann nicht ersetzt werden.“