Mallorca Zeitung

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„Wir sind das Herz der Demokratie“ - Bundestagspräsidentin Bärbel Bas über das neue Selbstbewusstsein der Parlamente

Ein Gespräch über Hetze im Netz und persönliche Angriffe im Bundestag, die Rolle der europäischen Parlamente in den derzeitigen Krisen und Frauen in der Politik

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas beim MZ-Interview in einem Hotel in Palma am 22.4.2024. Nele Bendgens

Die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ist protokollarisch noch vor dem Bundeskanzler die zweithöchste Persönlichkeit in Deutschland. Die MZ traf die 55-Jährige SPD-Politikerin am Rande des Treffens der EU-Parlamentspräsidentinnen und Parlamentspräsidenten in Palma.

Worüber reden Parlamentspräsidentinnen und Parlamentspräsidenten abseits der Mikrofone? Wie schwer es ist, die Meute im Parlament im Zaum zu halten?

Natürlich erzählen wir uns auch die eine oder andere Anekdote. Momentan tauschen wir uns aber vor allem darüber aus, wie mit Ordnungsmaßnahmen in den jeweiligen Ländern umgegangen wird – gerade in Bezug auf Hassbotschaften auf Social Media. Wir haben im Plenarsaal das Ordnungsrecht als Handhabe, wir können aber wenig tun, wenn außerhalb des Plenarsaales Hetzkampagnen zwischen und gegen Abgeordnete auf Social Media stattfinden.

Könnte KI die Hetze noch verstärken, wie einige Ihrer Kollegen bei Ihrem Treffen befürchteten?

Ja, einige Desinformationskampagnen werden mittlerweile auch durch künstliche Intelligenz gestützt. Das kann nicht nur in Hinsicht auf den Krieg in der Ukraine oder im Nahen Osten gefährlich sein, sondern auch für die anstehende Europawahl im Juni. Wir wünschen uns von der EU klare Regeln und eine einheitliche Gesetzgebung.

Am Ende müssen wir alle gemeinsam gucken, wie wir Deutschland nach vorne bringen. Wenn ich international unterwegs bin, fällt mir das immer wieder auf: Wir haben in Deutschland oft eine destruktive Innensicht.

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Hier auf der Insel wird unter einflussreichen Unternehmern viel auf die Politiker der etablierten Parteien geschimpft. Verkürzt sagen sie: Die können es nicht! Was entgegnen Sie?

Ich würde immer zurückfragen: Was meinen Sie denn konkret? Was erwarten Sie? Im Dezember 2021 habe ich die Ampel im Deutschen Bundestag vereidigt, plötzlich war im Februar Krieg. Das hat alles auf den Kopf gestellt. Die Regierung hatte sich viel vorgenommen: Modernisierung, Digitalisierung, Unterstützung von Unternehmen und Wirtschaft. Aber plötzlich steht man vor anderen Herausforderungen und muss Prioritäten setzen. Daher lautet meine Devise: Wir müssen mit den Bürgerinnen und Bürgern wieder stärker in den Dialog treten und unsere Politik erklären. Am Ende müssen wir alle gemeinsam gucken, wie wir Deutschland nach vorne bringen. Wenn ich international unterwegs bin, fällt mir das immer wieder auf: Wir haben in Deutschland oft eine destruktive Innensicht.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Gespräch mit Ciro Krauthausen (MZ) in Palma. Nele Bendgens

Sie haben vor einiger Zeit die Zielvorgabe ausgegeben, dass alle endlich aufhören sollten, sich gegenseitig zu beschimpfen. Wie weit sind Sie da gekommen?

Sprache spielt eine große Rolle, wenn es darum geht, welches Bild wir nach außen abgeben. Nicht nur für die Wirtschaft, sondern gerade auch für Bürgerinnen und Bürger. Natürlich ist dabei auch wichtig, wie wir im Parlament miteinander umgehen. Unsere Aufgabe ist es, um Inhalte zu streiten, nicht verbal übereinander herzufallen. Das stößt viele Menschen ab. Wir sollten uns auf die Sachfragen konzentrieren und die Probleme lösen.

Es ist brandgefährlich, wenn es so weitergeht. Unsere Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit.

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Wie finden Sie, wie in den politischen Talkshows zurzeit diskutiert wird?

Mein Appell lautet: Holt die Debatten in die Parlamente. Da gehören sie hin, um Kompromisse zu finden. Wenn in einer Talkshow gestritten wird, sagen alle ihre Meinungen –und es wird im Streit hin und her diskutiert. Das hat auch seine Berechtigung. Damit können aber keine Probleme gelöst werden.

Warum ist die Kompromissbereitschaft so zurückgegangen?

Weil oft alle auf ihren Positionen verharren und niemand ein Stück auf die andere Seite zugehen möchte. So funktioniert es aber nicht. Wenn man einen Kompromiss finden will, müssen wir uns alle bewegen. Das wird in der Tat weniger.

Früher wurde mehr in der Sache gestritten, heute schaukeln sich viele Debatten oft hoch. Das sieht man auch an der Anzahl der Ordnungsrufe, die gestiegen ist und die ich fraktionsübergreifend verteile.

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Sie sind in so gut wie jeder Bundestagssitzung dabei und das schon seit 2009. Verändert sich der Blick vom Präsidium aus?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Was mir mit der Zeit aufgefallen ist, ist die Veränderung der Sprache. Sie ist in den vergangenen Jahren deutlich härter geworden.

Liegt das auch an der AfD?

Die Sprache verändert sich seit 2017 (dem Jahr des Einzugs der AfD in den Bundestag, Anm. d. Red.), sie ist diskriminierender geworden, die persönlichen Angriffe nehmen zu. Früher wurde mehr in der Sache gestritten, heute schaukeln sich viele Debatten oft hoch. Das sieht man auch an der Anzahl der Ordnungsrufe, die gestiegen ist und die ich fraktionsübergreifend verteile.

Wie gefährlich ist die von Populisten zusätzlich geschürte Stimmung für die Demokratie?

Es ist brandgefährlich, wenn es so weitergeht. Unsere Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. 70 Prozent der Menschen leben in Autokratien. In vielen Parlamenten, in denen Populisten in der Mehrheit sind, ändert sich nicht nur die Demokratie, sondern auch unsere Werte. Wir müssen sie verteidigen und unsere Demokratie schützen. Ermutigt haben mich die Demonstrationen in Deutschland nach der Recherche von Correctiv. Die Leute gehen für unsere Demokratie auf die Straße –und nicht gegen etwas. Die Gesellschaft und auch die Wirtschaft waren mir zuvor zu leise gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus.

Wir müssen Frauen in politischen Ämtern besser schützen. Da waren wir uns einig. Auf der anderen Seite haben wir auch gesagt: Wir sind Vorbilder. Auch unsere Strukturen müssen wir familienfreundlicher gestalten.

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Sie wollen junge Frauen motivieren, in die Politik zu gehen. Was muss dafür geschehen?

Wir hatten hier in Palma im Vorfeld unseres Treffens wieder eine reine Frauenkonferenz. Dabei haben wir uns unter anderem ausgetauscht, wie wir Strukturen verändern können. Frauen kümmern sich weiterhin mehrheitlich um die Care-Arbeit. Hatespeech und sexistische Angriffe halten viele davon ab, sich zu engagieren. Bürgermeisterinnen etwa bekommen Droh-Mails wie: „Ich weiß, wo dein Kind zur Schule geht.“ Wir müssen Frauen in politischen Ämtern besser schützen. Da waren wir uns einig. Auf der anderen Seite haben wir auch gesagt: Wir sind Vorbilder. Auch unsere Strukturen müssen wir familienfreundlicher gestalten. Wenn das partnerschaftlich ginge, wäre das die ideale Lösung.

Wir verharren seit 20 Jahren bei 35 Prozent Frauenanteil. Da können wir noch viel von anderen Parlamenten lernen.

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Kann der Bundestag in Sachen Parität von anderen EU-Parlamenten lernen?

Ja, es gibt einige Parlamente in Europa, in denen deutlich mehr Frauen sitzen als in Deutschland. Ich frage jedes Mal, wie sie das hinbekommen. In vielen Ländern gibt es auch eine Frauen-Quote, bei uns ist das verfassungsrechtlich im Moment noch gescheitert. Wir verharren seit 20 Jahren bei 35 Prozent Frauenanteil. Da können wir noch viel lernen.

Eröffnung des Treffens europäischer Parlamentspräsidenten in Palma durch Königi Felipe. Manu Mielniezuk

So ein Gipfeltreffen ist mit großem Aufwand verbunden. Wodurch rechtfertigt er sich?

Ganz einfach: Wir wollen den Regierungen diese Treffen nicht allein überlassen. Wir stehen als Abgeordnete stets Rede und Antwort für die Bürgerinnen und Bürger und kontrollieren die Regierungen. Deshalb treffen wir uns auch im G7 und G20-Format. Das ist richtig, weil wir als Abgeordnete am Ende die Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern tragen. Wir sind das Herz der Demokratie,und durch die Kriegssituation sind wir als Parlamentspräsidentinnen und Präsidenten selbstbewusster geworden zu sagen: Wir machen die Gesetze. Für ein selbstbewusstes Parlament sind solche Konferenzen wichtig.

Die großen Fragen hätten wir abgearbeitet. Kommen wir noch zu einem Mallorca-Promi. Wie gelingt es Ihnen, Ihren Vizepräsidenten Wolfgang Kubicki im Zaum zu halten?

Manche meinen ja, dass ich das könnte, aber ich bin nicht seine Vorgesetzte (lacht). Als einziger Mann im Präsidium hat er es auch nicht leicht. Aber wir sind ein tolles Team und arbeiten sehr kollegial zusammen. Wenn mal eine Kollegin krank ist oder ausfällt, springt er immer ein.

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