Mallorca Zeitung

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Auf Mallorca gestrandet: Die Insel verzeichnet deutlichen Anstieg der Kriminalität bei Bootsmigranten

Etliche junge Algerier landen wohl aus der Not heraus auf der schiefen Bahn und begehen Straftaten. Sie einfach in ihre Heimat abzuschieben, ist momentan nicht möglich

Im vergangenen Jahr erreichten zwar erstmals wieder weniger Migranten Mallorca, dafür stieg aber die Anzahl der von Algeriern verübten Straftaten an. | FOTO: CATI CLADERA/EFE

Montag, 29. Januar, ein 18-Jähriger stürzt bei einem Einbruchversuch ab. Die Polizei nimmt ihn fest. Zwei Tage zuvor hatte sie ihn bereits wegen eines Diebstahls geschnappt. Sonntag, 28. Januar, ein 18-Jähriger zerschlägt mit einem Motorradhelm Autoscheiben und entwendet Wertsachen. Die Polizei nimmt ihn fest, zum siebten Mal binnen drei Monaten. Samstag, 27. Januar, ein 19-Jähriger klaut ein Handy. Die Polizei nimmt ihn fest. Er hat 20 Vorstrafen.

Die Liste lässt sich beliebig weiterführen. Was die Fälle gemeinsam haben? Die Festgenommenen sind Algerier. Wie in Deutschland auch sind die von illegal eingereisten Migranten verursachten Straftaten auf Mallorca ein heikles Thema. „Die Algerier haben das kriminelle Ökosystem in Palma verändert“, drückt es Chema Manso, seit dieser Woche pensionierter Chef der Ausländerbehörde der Nationalpolizei, gegenüber dem „Diario de Mallorca“ aus. Auf MZ-Anfrage bei der Nationalpolizei waren seit Wochen alle zuständigen Ansprechpartner im Urlaub, krankgeschrieben oder anderweitig verhindert. Andere Gesprächspartner bestätigen hinter vorgehaltener Hand die Zunahme der Kriminalität, wollen sich aber offiziell nicht äußern. Zu groß ist die Gefahr, der Ausländerfeindlichkeit beschuldigt zu werden. Oder der Naivität, wenn man das Geschehen kleinredet. „Bevor ich zu viel spekuliere, halte ich lieber die Klappe“, sagt Joan Segura, Sprecher der Plattform gegen Zwangsräumungen „Stop Desahucios“, die auch algerische Familien betreut.

Nur die algerischen Migranten geraten auf die schiefe Bahn

Eine offizielle Statistik über die Nationalitäten von Straftätern gebe es nicht, sagt ein Sprecher der Nationalpolizei. Gonzalo Calleja, Chef der für die illegale Migration verantwortlichen Einheit, stellte sich im Dezember den Fragen des Online-Portals „Crónica Balear“. „Einige der Migranten arbeiten, andere treiben die Kriminalitätsstatistik in die Höhe“, sagte der Kommissar. „99 Prozent der Einwanderer aus Subsahara-Afrika schlagen sich gut durchs Leben. Algerier hingegen nehmen sich das Recht heraus, Straftaten zu begehen.“

„Warum werden sie nicht abgeschoben?“, twittert die rechtsextreme Partei Vox immer wieder. Und eine Gruppierung namens „Identitas“ geht noch einen Schritt weiter und pflasterte Palma zuletzt mit Hetzplakaten zu. „Wir exportieren Ingenieure und importieren Messerstecher“, stand dort, wobei sich das auch auf lateinamerikanische Einwanderer bezog.

Warum die Abschiebung keine Möglichkeit ist

Die Migranten, die in kleinen Booten von Algerien aus auf die Balearen übersetzen, lassen sich oft widerstandslos aufgreifen. Neben einer Erstbetreuung durch das Rote Kreuz erfolgt seitens der Polizei eine erkennungsdienstliche Behandlung. „Wir nehmen Fingerabdrücke, verteilen eine Identifizierungsnummer und erstellen einen Abschiebungsbescheid, der aber nicht vollstreckt wird.“ Algerien weigert sich, sie wieder einreisen zu lassen. Madrid hat im Westsaharakonflikt die marokkanische Souveränität anerkannt, Algier brach daraufhin die diplomatischen Kontakte ab.

Sofern es nicht unbegleitete Minderjährige sind, werden die Migranten nach 72 Stunden routinemäßig in Abschiebelager aufs Festland überstellt. Dort lässt man sie dann oft weiterziehen. Meist sind Frankreich und Belgien das Ziel. Einerseits wegen der Sprache, andererseits weil die Franzosen im Gegensatz zu den Spaniern ihre algerischen Studienabschlüsse anerkennen.

Sie sind in einer prekären Lage, haben kein Geld. Hinzu kommen hohe Mieten, Wohnungsnot, Ausbeutung der Schwarzarbeiter. Das drängt sie regelrecht in die Kriminalität.

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Diejenigen der Neuankömmlinge, die auf der Insel verbleiben, sind durchs Netz der Küstenüberwachung geschlüpft, allein als Minderjährige nach Mallorca gelangt oder vom spanischen Festland zurückgekehrt. Die allermeisten von ihnen seien nicht mit bösen Absichten gekommen, da ist sich der Aktivist Joan Segura sicher. „Das sind mitunter studierte Leute, die arbeiten wollen.“ Doch das Leben auf Mallorca ist härter, als sie es sich zuvor ausgemalt hatten. „Die Migranten werden von der Behörde abgewiesen und bekommen keinen Ausweis. Sie sind in einer prekären Lage, haben kein Geld. Hinzu kommen hohe Mieten, Wohnungsnot, Ausbeutung der Schwarzarbeiter. Das drängt sie regelrecht in die Kriminalität“, sagt Segura. Manche würden auch selbst zu Opfern von Straftaten, die sie aus Angst vor einer Abschiebung nicht anzeigten.

Die Behörden sind mit den oft jungen Straftätern überfordert. „Wir tun alles, damit aus dem Polizeibericht hervorgeht, dass die Kriminellen binnen kurzer Zeit viele Delikte begangen haben. Dadurch kann die Justiz die richtigen Schlüsse ziehen und die Leute ins Gefängnis stecken“, sagt Kommissar Calleja. Die Praxis aber zeigt, dass Kleinkriminelle aller Nationalitäten – auch Spanier – selbst nach mehrmaligen Festnahmen wenige Stunden später wieder freigelassen werden.

Die Überfahrt der Migranten nach Mallorca

Der Migrantenstrom über das Mittelmeer hat sich über das vergangene Jahrzehnt zu einer vielbefahrenen Route entwickelt. Die Algerien-Strecke – neben Mallorca werden hauptsächlich noch Ibiza sowie auf dem Festland Almería und Cartagena angesteuert – gilt als gefährlich. In den vergangenen fünf Jahren seien 2.000 Menschen in den Fluten spurlos verschwunden, schätzen NGOs. Die genaue Zahl ist kaum zu erfassen. Harraga – die Ausweisverbrenner – nennen die Algerier ihre Landsleute, die sich nach Europa abzusetzen versuchen. „Wenn schon die Lebenden kaum jemand interessieren, dann die Toten noch weniger“, sagte María Ángeles Colsa, Präsidentin des Internationalen Zentrums zur Identifizierung verschollener Migranten (CIPIMD), dem „Diario de Mallorca“. „Generell kooperieren die Behörden kaum. Auf den Balearen ist die Hilfe gleich null.

Als Ursprungsort der Migration galt lange die algerische Küstenstadt Dellys. „Ein typischer Fischerort voller junger Männer“, sagt Segura. Eines Tages setzten sich einige ins Boot und wagten die Überfahrt. Heute sind es eher kleine Banden mit mafiösen Strukturen, die die Reise organisieren. 2.000 bis 3.000 Euro beträgt der übliche Tarif für die Reise in der Nussschale. Waren es 2018 lediglich 199 Personen, die die Inseln erreichten, stieg die Zahl bis 2022 kontinuierlich auf 2.579. Im vergangenen Jahr war sie erstmals rückläufig. 2.175 Personen kamen an. „Das liegt daran, dass wir immer mehr Schlepper festnehmen. Sie haben Schwierigkeiten, neue Leute zu finden, die das Boot steuern. Immerhin drohen bis zu zehn Jahre Haft im Gefängnis“, sagt Calleja.

Ein Migrantenboot auf Mallorca. Axel Krüger

Die Überfahrt dauert an die 20 Stunden, wenn sie denn gut geht. Manche Migranten sind auch tagelang unterwegs. Marina Rupérez leitet das Team des Roten Kreuzes, das sich um die Erstbetreuung kümmert. Den Umständen entsprechend ginge es den Migranten nach ihrer Ankunft gut. „Sie sind dehydriert, nass, hungrig und ihnen ist kalt.“ Die Erstversorgung beinhalte Essen, Trinken und eine ärztliche Untersuchung. Danach folgt eine Befragung nach Namen und Alter, wobei die Sozialarbeiter die Leute nicht zu einer Antwort zwingen kann. „Manche erzählen uns über die Gründe, warum sie ihr Land verlassen wollten. Meist geht es ums Geld. In manchen Fällen sind sie aber auch vor Gewalt und Ausbeutung geflohen“, sagt Rupérez. In den vergangenen Jahren sei die Anzahl der Migranten aus Subsahara-Afrika gestiegen. „Heute sind nur noch 60 bis 65 Prozent der Ankömmlinge Algerier.“

Was passiert mit den Minderjährigen

Das Alter ist bei den meist jungen Männern, die nach Mallorca gelangen, oft der springende Punkt. Ohne Ausweis lässt sich das nicht sofort kontrollieren. Um herauszufinden, ob ein Migrant nun wirklich minderjährig ist, wird die linke Hand geröntgt. Da bestimmte Handwurzelknochen erst mit der Zeit verknöchern, lässt sich so ein Alter bestimmen. Die Testmethode gilt aber als ungenau. Die Spanne wird von Experten auf plus/minus zwei Jahre geschätzt.

Die unbegleiteten Minderjährigen werden von den Behörden in ein Integrationsprojekt aufgenommen. Zwei externe Betreiber, die Stiftungen Samu und Diagrama, leiten neun Heime auf Mallorca, in denen sie unterkommen. „Das sind normale Wohnungen, die man von außen nicht als Heim erkennen würde“, sagt Suhaila El Haddad, Leiterin der Fundación Samu. Aus Jugendschutzgründen dürfen die Standorte nicht veröffentlicht werden. Wirklich geheim sind sie aber nicht. „Die Nachbarn erfahren es meist zuerst. Den Heimbewohnern ist es erlaubt, Freunde mitzubringen.“

Die meisten Jugendlichen in den Heimen sind zwischen zwölf und 17 Jahre alt. „Es gibt einige Grenzfälle, die schon 18 sind“, sagt El Haddad. Sie wohnen in Einzel- oder Doppelzimmern, die Heime haben Platz für bis zu 14 Personen. Rund um die Uhr sind Betreuer da. 159 unbegleitete Minderjährige kamen 2023 an, im Januar waren es bislang acht. „Wir sind voll ausgelastet, verzeichnen aber auch immer wieder Abgänge.“ Drei bis sechs Monate lang bleiben die Teenager im Heim. In der Zeit bekommen sie morgens und abends Spanischstunden. Wer im schulpflichtigen Alter ist, geht zudem zum normalen Unterricht. „Die Schulen haben spezielle Programme für die Migranten“, sagt El Haddad. Ältere Jugendliche, die gute Fortschritte mit dem Spanisch machen, können Ausbildungen über das Arbeitsamt bekommen. Wenn die Betreuer beschließen, dass die Spanischkenntnisse ausreichen, geht es für die Teenager in ein normales Jugendheim weiter.

Dass die Jugendlichen Straftaten begehen, kommt uns aber selten zu Ohren.

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„Wir versuchen, ihnen ein neues Zuhause zu bieten“, sagt El Haddad. So bekommen die Jugendlichen auch ein Taschengeld, das der jeweilige Heimleiter festlegt. „Natürlich suchen wir auch den Kontakt zur Familie. Das geht über die sozialen Netzwerke heute leicht. Die Jugendlichen wollen meist aber nicht in ihre Heimat zurück.“ Zu den Vorwürfen, in den Heimen würde es drunter und drüber gehen, Diebstähle und Schlägereien auf der Tagesordnung stehen, sagt El Haddad: „Wie in jeder Familie gibt es Probleme. Dass die Jugendlichen Straftaten begehen, kommt uns aber selten zu Ohren.“

Die algerische Community auf Mallorca

Früher gab es eine algerische Organisation auf der Insel, die sich um die Landsleute kümmerte. Heute trifft man sich höchstens zum Gebet in der Moschee. Dort fragt man seinen Nebenmann, woher er kommt. „Nicht selten sind Leute dabei, die eben erst mit dem Boot Mallorca erreichten. Denen stecke ich einen Zehn-Euro-Schein zu, und damit ist die Nächstenliebe auch vorbei“, sagt Karim Hanifi. Der Dönerverkäufer kam 1992 auf die Insel und war laut eigener Aussage einer der ersten Algerier.

„Julio Iglesias sang viele Lieder auf Französisch und ist bei uns sehr beliebt. Ich habe seinetwegen angefangen, Spanisch zu lernen“, sagt der heute 58-Jährige. Er war 24, als er von zu Hause ausriss. „Meinen Eltern habe ich erst ein paar Tage später erzählt, dass ich nach Spanien ausgewandert bin. Klar waren sie verärgert, mit der Zeit haben sie es aber verstanden.“ In seiner Heimat gebe es keine Zukunft. Vetternwirtschaft, Korruption, Hungerlöhne und Arbeitslosigkeit würden den Alltag prägen. Meinungsfreiheit gebe es nicht. Auf der Insel habe man früher schnell Arbeit gefunden. „Mittlerweile kommen aber so viele Migranten, dass es nicht genügend Jobs für alle gibt. Die Arbeitslosen fangen dann an zu klauen“, sagt Hanifi.

Seine Familie besucht der studierte Biologe jährlich. Sie auf die Insel zu bringen, ist heute nicht mehr so leicht. Spanien erteilt keine Visa. Sein 31-jähriger Bruder träumt selbst vom Leben in Europa. Karim Hanifi verbietet es ihm wegen der Gefahr: „Ich sage ihm: Steigst du ins Boot, bist du für mich gestorben.“

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