Mallorca Zeitung

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Welche Schätze Besucher von Sineu leicht übersehen

Auch die Gemeinde im Inselinnern hat jetzt eine Liste ihrer alteingesessenen Geschäfte erstellt. Der Besuch der ganz verschiedenen Betriebe lohnt sich nicht nur wegen ihrer Geschichte und ihres Sortiments

Schon der Urgroßvater Josep Ordinas (Foto an der Wand) fertigte und schliff Messer in Sineu: Josep Tugores Ordinas im Geschäft Ganivets Ca’n Ordinas. Frank Feldmeier

Amador Camps zeigt durchs Ladenfenster nach draußen, auf die Häuser der gegenüberliegenden Straßenseite. „Früher standen in vielen Höfen Pferde, und dahinter wurden Schweine gehalten“, sagt er. Damals, das war, als sein Vater in den 1940er-Jahren den Laden für Landwirtschaftsbedarf gegründet hatte. Zu jener Zeit kauften die Kunden Viehfutter oder brachten ihr Getreide zum Mahlen. Und heute?

Eine Kundin, die gerade das Magatzem Amador Camps Niell betritt, verlangt nach zwei Packen Blumenerde. Der 70-Jährige schleppt die Ware aus dem Lager und lädt sie der Kundin in den Kofferraum. Ihr Portemonnaie habe sie zu Hause liegen lassen, meint die Frau entschuldigend, aber sie komme gleich wieder. „Erde, das hatten die Menschen hier früher zur Genüge“, meint Camps. Aber man müsse sich eben den Zeiten anpassen.

Amador Camps beim Abfüllen von Tierfutter im Magatzem gleichen Namens. Frank Feldmeier

Wozu ein Ladenschild?

Zumindest ein bisschen. Das Sortiment in dem Laden, der jetzt als einer von acht in Sineu in die offizielle Liste der Traditionsgeschäfte von Mallorca aufgenommen wurde, hat sich geändert. Im Verkaufsraum stehen Säcke mit Haustierfutter, auch allerlei Gartenbedarf ist im Angebot. Ein Ladenschild über dem Eingang, das deswegen geändert werden müsste, gibt es ohnehin nicht – wozu auch, jeder im Dorf weiß, was er hier findet. Die Kundinnen und Kunden sind gleichzeitig Nachbarn und Bekannte. Und immer ist Zeit für einen Plausch oder einen Kommentar über den Schlammregen.

Mit Sineu hat inzwischen die 21. Gemeinde auf Mallorca ihre Traditionsgeschäfte im Portal emblematicsbalears.es aufgeführt. Auf Spanisch, Katalanisch und Englisch stellt die balearische Landesregierung auf der Website Geschäfte vor, die besonders alt sind, durch ihr Angebot herausstechen oder Denkmalschutzauflagen erfüllen. Das Projekt ist eine Hommage an die Einzelhändlerfamilien, die den Charakter der Dörfer prägen, aber auch eine Hilfestellung, damit die Läden trotz der allgegenwärtigen globalen Handelsketten für Einheimische und Urlauber sichtbar bleiben.

Messer in vierter Generation

Auch das Messerfachgeschäft Ganivets Ca’n Ordinas, gelegen direkt am Fuß der monumentalen Kirche, kommt ohne Firmenschild aus – in der inzwischen vierten Generation gibt es schließlich hinreichend Stammkunden. Gegründet hatte das Geschäft Ende des 19. Jahrhunderts Josep Ordinas Escales. Seine vier Söhne lernten ebenfalls das Handwerk, und um sich nicht Konkurrenz zu machen, eröffneten sie eigene Geschäfte in anderen Gemeinden.

Dass auch zahlreiche deutsche Kunden in den versteckten Laden finden, liegt neben der Mundpropaganda vor allem am traditionellen Mittwochsmarkt in Sineu, erzählt Josep Tugores Ordinas, rund die Hälfte seiner Kunden seien inzwischen Urlauber. Die Besucher hätten zum Teil spezielle Aufträge an ihn, Reparaturen von Liebhaberstücken, Anfertigungen nach der Vorlage von Handyfotos. Und wenn die Kunden das Ergebnis der Arbeit nicht im Handgepäck mit in den Flieger nehmen können, wird es eben per Post ins Ausland verschickt. Zu den anderen Messerhändlern auf dem Markt habe er inzwischen ein entspanntes Verhältnis – seit es dort Mitbewerber gebe, habe er sogar noch mehr Kunden im Laden.

Isabel Coll vor dem mit Holz befeuerten Ofen in der Bäckerei Can Caragol. Frank Feldmeier

Brot wie anno dazumal

Die Urlauber sind freilich nur für manche Geschäfte eine Zielgruppe. Dabei würden sie staunen, wenn sie zu Isabel Coll in die Bäckerei Can Caragol fänden und von ihr am Ladentisch vorbei in die Backstube geführt würden. Die Mallorquinerin, die mit ihrem Mann Gabriel Alomar die Bäckerei in vierter Generation betreibt, steigt einige Stufen zur Ofenklappe hinunter, durch die ein kreisrunder, noch immer mit Holz befeuerter Steinbackofen Hitze verströmt. Urgroßvater Miquel Torelló Romer backte hier das Brot, das die Anwohner als Rohmasse von zu Hause mitbrachten. Die folgende Generation lieferte die Ware im Karren im Dorf aus. Heute liegen ökologisch zertifizierte Backwaren aus alten Weizensorten wie Dinkel, Xeixa oder Kamut im Verkaufsregal.

Eine fünfte Generation wird es wohl nicht geben. „Ich möchte nicht, dass meine Töchter unter diesen Bedingungen arbeiten müssen“, meint die Bäckerin, die zusammen mit ihrem Mann den Laden alleine schmeißt. Nachts backen, von 7 bis 14 Uhr verkaufen, und das von dienstags bis sonntags – „da muss man schon eine romantische Veranlagung haben“, meint Coll. Ähnlich wie die meist älteren Kunden, die den Traditionsgeschmack der Industrieware vorziehen. Die Aufnahme von Can Caragol in die Liste der comerços emblemàtics sei eine große Ehre, werde aber an der fehlenden Perspektive nichts ändern, meint die Bäckerin. Es sei denn, man dächte die Bäckerei ganz neu, vielleicht ohne Nachtschichten und mit Öffnungszeiten erst ab Nachmittag.

Joan Capó zwischen Werkzeugmaschinen im Betrieb Eines Mallorquines Toni Mas. Frank Feldmeier

136 Grills für Palma

Bei genauerem Hinsehen sind die emblemàtics eine ziemlich bunte Mischung. Vor Aufträgen kaum retten kann man sich bei Eines Mallorquines Toni Mas, wo Werkzeuge und Schmiedearbeiten aller Art hergestellt werden. Joan Capó zeigt auf fertige Utensilien, die absichtlich im hinteren Teil der Werkstatt stehen. „Die sind eine Auftragsarbeit und nicht zu verkaufen.“ Gerade sind 136 Grillgeräte für die Stadt Palma in Arbeit, die bei Sant Sebastià und anderen Festen zum Einsatz kommen sollen.

Die schweren Maschinen in dem Betrieb erinnern an ein Industriemuseum. Hier wird mit viel Know-how und körperlichem Einsatz Werkzeug wie anno dazumal hergestellt, etwa für den Bau von Trockensteinmauern. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal auf der Insel – diese Gerätschaften gibt es in keinem Baumarkt. Die Kunden – vor allem Handwerker und Bauarbeiter, darunter viele Marokkaner – kommen von der ganzen Insel nach Sineu. Ein repräsentatives schmiedeeisernes Schild für ein Restaurant steht ebenfalls zur Abholung bereit. Gatter, Schachtdeckel, Treppen, Handläufe – auch der eine oder andere deutsche Fincabesitzer ist Kunde in dem comerç emblemàtic.

Wir suchen ein Gleichgewicht aus Tradition und Innovation“, erklärt Capó. Nach der Hochzeit mit der Enkelin des Firmengründers dürfte er künftig die vierte Generation in dem fast hundertjährigen Betrieb stellen, der früher Bauern mit dem nötigen landwirtschaftlichen Geräten ausstattete. Zukunftsängste sind hier keine zu spüren, eher Sorgen um die nötigen Fachkräfte, die harte Arbeit nicht scheuen.

Francisca Ramis in der Metzgerei Embotits Ferriol.

Francisca Ramis in der Metzgerei Embotits Ferriol. Frank Feldmeier

Gemeinderätin in Metzgerei

Gleich drei der acht Traditionsbetriebe von Sineu sind Metzgereien, nicht umsonst richtet die Gemeinde im Dezember die Schlachtmesse Mostra de Matances aus. Auch diese Läden profitieren vom wöchentlichen Markttreiben, das viele Besucher in den Ort lockt. Direkt am Platz befindet sich Embotits Ferriol. Wer den Laden betritt, findet zum einen die ganze Palette mallorquinischer Wurstwaren vor – sobrassada, llonganissa, botifarrons, camallot, alles vom schwarzen Schwein aus eigener Haltung. Zum anderen zeigt eine Fotowand Bilder der Familie, die die Geschicke des 1954 gegründeten Betriebs gelenkt hat und lenkt.

Francisca Ramis nimmt Fotos von der Wand und erklärt, wer welcher Generation angehört. Die Mallorquinerin sucht man vergebens darauf. Sie ist zwar nicht Teil der Familiendynastie, hat sich aber ebenfalls um den traditionellen Einzelhandel verdient gemacht: Wie sich im Gespräch herausstellt, ist Ramis Gemeinderätin für Einzelhandel im Rathaus von Sineu, verantwortlich für die Aufnahme der lokalen Geschäfte in die Liste der emblemàtics und nun sichtlich erfreut, dass sich eine deutsche Zeitung für die Initiative interessiert.

Die Betriebe mögen wegen ihres Alters oder auch ihrer Waren ausgewählt worden sein – was sie aber wirklich auszeichnet, ist wohl ihr Ambiente. Zu benennen weiß es Amador Camps, er benutzt den Ausdruck „fer poble“. Übersetzen ließe sich das vielleicht mit „das Dorf leben“. Eigentlich sei er ja schon längst im Rentenalter, meint der Mallorquiner. Aber er helfe seinem Sohn weiter gerne aus. „Ich brauche das“, sagt er. Und drückt dem Besucher zur Erinnerung noch den Firmenstempel in den Schreibblock.

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