Hohe Immobilienpreise auf Mallorca: Die Einheimischen flüchten nach Nordspanien

Immer mehr Mallorquiner schauen sich nach einem Zweitwohnsitz auf dem Festland um – und replizieren damit, was auf der Insel geschieht

Entdeckt touristisches Potenzial: die Unternehmerin Pilar Carbonell an einem Bach in Galicien.

Entdeckt touristisches Potenzial: die Unternehmerin Pilar Carbonell an einem Bach in Galicien. / Privat

Alexandra Wilms

Alexandra Wilms

Sie suchen Authentizität und Ruhe, ein anderes Klima, möglichst unberührte Natur, einen Zweitwohnsitz, der dank kurzer Flugzeit auch am Wochenende schnell erreichbar ist und selbst für Normalverdiener noch bezahlbar ist – und mischen damit mehr oder weniger unbeabsichtigt den Immobilienmarkt in ihrem neuen Paradies auf. Kommt Ihnen bekannt vor? Uns auch. Doch die Rede ist nicht von Deutschen auf Mallorca, sondern von Mallorquinern in Kantabrien, Asturien und Galicien.

Auf der Suche

„Wir wollten eigentlich eine Ferienwohnung auf Mallorca – aber die Preise sind derart übertrieben, dass ein Kauf für uns nicht drin ist“, sagt Cati Rotger. Die 41-Jährige, die mit ihrem Mann Juan eine Autowerkstatt in Llucmajor betreibt, berichtet von einem 1-Zimmer-Apartment in Cala d’Or, das ihr angeboten wurde – für 240.000 Euro. Nun suchen sich ihr Mann und sie ein Häuschen in Galicien. Dort hatten sie während der Pandemie im Haus eines Freundes Urlaub gemacht, und waren schlichtweg begeistert von Land, Leuten und vor allem auch von der dortigen Gastronomie.

„So sehr ich Mallorca liebe – die Lebensqualität hier stimmt einfach nicht mehr“, sagt Cati Rotger. Ein Zweitwohnsitz in Nordspanien, zunächst für die Ferienzeit, auf lange Sicht vielleicht als Hauptwohnsitz im Rentenalter, ermögliche es ihr zudem, Geld für ihre Tochter zur Seite zu legen, damit auch die sich vielleicht eines Tages eigene vier Wände leisten kann. Bei einem Kauf auf Mallorca bleibe dafür nichts mehr übrig.

Noch zieht sich die Suche hin, aber das liege auch an ihren persönlichen Vorstellungen: „Als Mallorquiner will man halt doch in der Nähe des Meers sein“, und in den küstennahen Regionen sind die Schnäppchen mittlerweile nicht mehr ganz so breit gesät. Das liegt wohl nicht zuletzt an der steigenden Nachfrage unter den Insulanern. Anfangs habe sie gedacht, dass es sich bei der Suche im Norden um eine persönliche Spinnerei handle. Tatsächlich aber seien es immer mehr Freunde, Bekannte und Kunden, die ebenfalls dort Häuser und Wohnungen kaufen. Ihre Metzgerin habe ein Haus in Kantabrien erworben, der örtliche Bankdirektor zwei Wohnungen in Galicien – das sei tatsächlich ein Trend.

Sieht in Kantabrien viel Platz für Häuser und Golfplätze: Bauunternehmer Ignacio Fiol.  | F: PRIVAT

Schätzt die Lebensqualität in Galicien: der Mechaniker Juan Rotger. / Privat

Bereits vor Ort

Schon bevor der Norden so richtig in Mode kam, schlug Esperanza Garcías zu: Sie besitzt bereits seit 2010 ein Haus in einem ehemaligen Bergarbeiter-Dorf im Valle de Turón in Asturien. Die Fischverkäuferin im Mercat de Pere Garau in Palma hatte in dem abgelegenen Ort, in dem es noch heute an Mobilfunkempfang und Internet mangelt, eine Freundin besucht, die schon gekauft hatte. „Wir waren sofort hin und weg. Es war alles so groß, so leer!“, erinnert sich Garcías an den ersten Besuch. Bei nächster Gelegenheit kauften auch sie. Ihr Mann und sie verbringen seither so gut wie jeden Urlaub dort, freuen sich an der weitläufigen Natur, an den vielen Wasserläufen, an den Kühen, die plötzlich im Vorgarten stehen.

Und auch sie sind nicht die Einzigen: von den etwa 25 bewohnbaren Häusern im Ort – noch einmal so viele seien schon verfallen – waren zeitweise bis zu sieben in mallorquinischer Hand. „Die Einheimischen kommen gut damit klar, sie sind unheimlich freundlich“, meint Esperanza Garcías. Besonders ihr Mann habe sich gut in die Gemeinschaft integriert, gemeinsam mit einigen Einheimischen habe man sogar die Dorfbar als Treffpunkt wiedereröffnet.

Hauskauf in Nordspanien festes Gesprächsthema auf Mallorca

Garcías geht 2025 in Rente und schließt zum Leidwesen ihrer Kunden ihren Marktstand. Dort ist der Hauskauf in Nordspanien mittlerweile ein festes Gesprächsthema: „Viele Kunden bitten mich um Tipps“, sagt Garcías. Sie schwärmt ihnen dann von Asturien vor, sagt aber auch, dass das Tal mittlerweile touristischer geworden ist und die Preise anziehen. Im Vergleich sei der Immobilienerwerb aber dennoch weiterhin erschwinglich. Erst kürzlich sei ein Haus für 60.000 Euro verkauft worden – „für die Leute dort ist das jetzt nicht so günstig, für uns aber schon“, sagt Garcías. Von Vorteil seien auch die guten Flugverbindungen. „Mittlerweile gibt es tägliche Direktverbindungen, und der Flug nach Oviedo ist immer voll.“

Ihr Mann könne sich vorstellen, ganz dort hinzuziehen. Sie weniger: Dafür sei es im Winter dann doch zu kalt und das Meer zu weit weg. Wobei: Mittlerweile seien die Strände auf der Insel ja so voll, dass man nicht mehr hin könne, und die Hitze im Sommer unerträglich. Und die vielen Menschen erst. In Asturien hingegen, das sagt die 64-Jährige gleich mehrmals, sei es so schön menschenleer.

Flucht in  den Norden

Sieht in Kantabrien viel Platz für Häuser und Golfplätze: Bauunternehmer Ignacio Fiol. / Privat

Oft im Flieger

Ganz ähnlich klingt das bei Pilar Carbonell. Die Unternehmerin und ehemalige Generaldirektorin für Tourismus der Balearen-Regierung fasst den Unterschied zwischen Mallorca und Galicien in einem Satz zusammen: „Den Sommer erleiden oder den Sommer genießen.“ Doch auch die aus Port d’Andratx stammende Carbonell ist nicht nur im Sommer in der Nähe von Santiago de Compostela anzufinden: Sie pendelt regelmäßig zwischen der Insel und dem Haus, das sie sich mit ihrem aus Galicien stammenden Ehemann im Weiler Fraiz gekauft hat. Unter der Woche organisiert sie in Palma das ATP-Tennisturnier in Santa Ponça, am Wochenende geht es nach Santiago de Compostela zum Ausspannen und Erholen. Der tägliche Direktflug dauert 1,5 Stunden: „So lange wäre ich auch von Port d’Andratx nach Cala Ratjada unterwegs.“

Ruhiges Landleben in authentischer Umgebung bei angenehmen Temperaturen auf der einen Seite, Dynamik sowie der Kontakt zu Freunden und Familie auf der anderen: für Carbonell ein perfektes Gleichgewicht. „Ich weiß nicht, ob ich wirklich 365 Tage im Jahr dort leben wollen würde, am Ende bin ich doch sehr überzeugte Mallorquinerin“, sagt sie. Seit 2017 besitzt sie in Galicien nicht nur ein eigenes Haus, sondern auch ein kleines Aparthotel mitten in der Altstadt von Santiago. Das kann sie dank der allgemein vorherrschenden Akzeptanz von Schlüsselcodes statt persönlichem Empfang an der Rezeption gut aus der Ferne verwalten.

Moratorium für Altstadt-Hotels in Santiago de Compostela

Auf die Frage, ob sie mit einem weiteren Beherbergungsbetrieb an der Endstation des Jakobswegs nicht zur Massifizierung in Santiago beitrage, winkt sie ab. Es stimme zwar, dass die Besucherzahlen seit Jahren stiegen. Aber was die Einheimischen dort als Masse empfänden, darüber könne man als Mallorquiner nur lachen. Dass es mittlerweile auch in Santiago ein Moratorium für weitere Hotels in der Altstadt gibt, hält sie aber – nicht zuletzt aus den Erfahrungen in der Heimat – trotzdem für richtig.

Auf ihren vielen Pendelflügen treffe sie immer wieder Mallorquiner, die ebenfalls in Galicien einen Zweitwohnsitz haben. Oder geschäftlich unterwegs sind: Die Insulaner eröffnen in Nordspanien Restaurants, Läden, Hotels oder Ferienwohnungen. Den Galiciern fehle es da manchmal noch an Professionalität, was wiederum dem tourismuserfahrenen Mallorquiner Marktlücken eröffne. „Die Urlauber dort suchen Erholung, Authentizität und Gastronomie“, konstatiert sie, Investitionen in dieser Hinsicht würden sich lohnen.

Flucht in  den Norden

Esperanza Garcías hat in diesem abgelegenen Ort in Asturien ihren Rückzugsort gefunden. / Privat

Bereits umstritten

Das scheint auch das mallorquinische Unternehmen AB Capital so zu sehen. Der Bauträger plant eine Siedlung mit 24 Einfamilienhäusern an der Küste Kantabriens. Das Projekt beruhe nicht zuletzt auf der großen Nachfrage der Inselbewohner, ließ sich Geschäftsführer Ignacio Fiol zitieren. Für ein Gespräch mit der MZ stand er trotz etlicher Anfragen und Zusicherungen nicht zur Verfügung.

Allerdings bringt ein noch ambitionierteres Projekt die einheimische Bevölkerung zwischen Loredo und Langre gerade in Rage. Wie die im nahe gelegenen Santander angesiedelte Zeitung „El Diario Montañés“ berichtet, wollten die Mallorquiner bei der Versteigerung eines 74,5 Hektar großen Grundstücks mitbieten, das direkt neben der bereits geplanten Siedlung liegt. Auf der Suche nach regionalen Partnern für das Projekt, das laut Ausschreibung mit bis zu 350 Häusern und einem Golfplatz bebaut werden kann, sprachen die Mallorquiner der Tageszeitung zufolge gegenüber potenziellen Investoren davon, Kantabrien „zum Ibiza des Nordens“ machen zu wollen. Der Werbeslogan provozierte einen Aufschrei bei den Einheimischen, der Mitte Mai in einer Massendemonstration gegen die Erschließung des Grundstücks mündete.

Ibiza-Vergleich empört die Menschen

Einer der Initiatoren des Protestes ist Paulu Lobete von der Regionalpartei Cantabristas. Letztendlich hätten die Mallorquiner bei der Versteigerung nicht den Zuschlag bekommen, aber man habe den Verdacht, dass sie trotzdem irgendwie an der künftigen Großsiedlung beteiligt sein würden, sagt Lobete der MZ. „Der Ibiza-Vergleich hat die Menschen hier einfach empört“, so der 33-jährige Lokalpolitiker, der gleich nachschiebt, dass die Ibizenker das bitte nicht falsch verstehen sollten. Der Protest der rund 10.000 Demonstranten richte sich schlicht gegen Probleme, die denen der Balearen mittlerweile ganz ähnlich seien: steigende Immobilienpreise, immer weniger Wohnraum für die Einheimischen und ein zunehmender Tourismus, der schlecht bezahlte Jobs und eine beginnende Massifizierung mit sich bringe.

Ob daran auch die Mallorquiner schuld seien, die immer mehr Ferienhäuser im Norden kaufen? „Man kann Einzelpersonen nicht für ein strukturelles Problem verantwortlich machen“, antwortet Paulu Lobete, jeder sei ja irgendwann und irgendwo Tourist. Doch mittlerweile fänden selbst jene Urlauber, die schon seit Jahren den Sommer im Norden verbringen, dass es zu viel werde. Denn das, was die Region vor gar nicht so langer Zeit in Mode gebracht hat – Ruhe, Platz, Natur und günstige Preise – drohe nun zu verschwinden. „Und dann ist Kantabrien auch nur wie jede andere überlaufene Urlaubsregion.“

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