Eklat auf Mallorca: Parlamentspräsident zerreißt Foto von Opfern der Franco-Diktatur

Opposition und Nachkommen von Opfern fordern den Rücktritt des Vox-Politikers. Aufruf zu Kundgebung am Donnerstagmorgen (20.6.)

Le Senne greift nach dem Foto.

Le Senne greift nach dem Foto. / Redaktion DM

Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Der Präsident des Balearen-Parlaments, Gabriel Le Senne, hat mit dem Zerreißen eines Fotos von Franco-Opfern während des Plenums für einen beispiellosen Eklat gesorgt sowie einen Proteststurm bei Oppositionsparteien wie auch Nachkommen von Opfern der Diktatur ausgelöst. Der Vox-Politiker zerstörte den Ausdruck eines historischen Fotos von den Schwestern Catalina und Antònia Flaquer sowie Aurora Picornell, die von Franco-Schergen zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) hingerichtet worden waren.

Zu dem Eklat kam es bei der Parlamentssitzung am Dienstag (18.6.). Auf dem Programm stand die Abschaffung eines Gesetzes zur Vergangenheitsbewältigung der linken Vorgängerregierung. Diesen Schritt hatte die regierende konservative Volkspartei (PP) von Präsidentin Marga Prohens mit der Rechtspartei Vox im Rahmen des Regierungspakts vereinbart. Die vom Balearen-Parlament verabschiedete Ley de Memòria Democràtica verurteilte erstmals die Verbrechen des Franco-Regimes (1939–1975) und legte den Rahmen für das institutionelle Gedenken an die Opfer von Putsch und Bürgerkrieg fest. 

Ikone Aurora Picornell

Aus Protest gegen die Abschaffung hatten Politiker der Oppositionsparteien Fotos von historischen Personen ausgedruckt und mit ins Plenum gebracht, so auch die beiden sozialistischen Abgeordneten Mercedes Garrido und Pilar Costa, die dem Parlamentsvorsitz angehören. Dazu muss man wissen: Aurora Picornell gilt auf Mallorca als Inbegriff der Repression. Die junge Kommunistin wurde 1937 zusammen mit vier weiteren Frauen von Franco-Anhängern ermordet. Ihre sterblichen Überreste wurden erst vor zwei Jahren gefunden und identifiziert.

Aurora Picornell (3. v. r.) mit den „Roten von Molinar“ und anderen jungen Linken in den 30er-Jahren. | F.: DM-ARCHIV

Aurora Picornell (3. v. r.) mit den „Roten von Molinar“ und anderen jungen Linken in den 30er-Jahren. | F.: DM-ARCHIV / sophie mono

Die Situation im Balearen-Parlament eskalierte, als Le Senne die beiden Sozialistinnen aufforderte, die Fotos von der Rückseite ihrer Laptops auf ihren Pulten zu entfernen. Die Angehörigen des Parlamentsvorsitzes müssten sich politisch neutral verhalten, so der Vox-Politiker. Garrido erklärte daraufhin, dass es sich um einen Akt der Gerechtigkeit und Wiedergutmachung im Fall von durch Falangisten ermordeten Personen handle. Le Senne verlor daraufhin die Nerven, griff nach dem Ausdruck und zerriss ihn beim Entfernen. Als die Sozialistinnen protestierten, verwies Le Senne sie kurzerhand des Plenums.

Und was sagt die PP?

Während die Oppositionsparteien den sofortigen Rücktritt von Le Senne forderten, hüllte sich die PP zunächst in Schweigen. Erst am Nachmittag des Folgetags folgte eine offizielle Mitteilung, in der die Partei das Verhalten von Le Senne als unpassend kritisierte. „Wir können nicht gutheißen, das Fotos von Ermordeten zerrissen werden. Die Bilder sind für uns alle beschämend.“ Man appelliere zudem an alle Parteien, sich im Ton zu mäßigen.

Andererseits wurde bekannt, dass die PP im Rathaus von Palma öffentliche Bibliotheken im Stadtgebiet anwies, eine Leseempfehlung für eine Biografie von Picornell zurückzuziehen.

Die Szene vom Zerreißen der Fotos verbreitete sich schnell in den sozialen Netzwerken. Aus Solidarität mit den Franco-Opfern tauschten zahlreiche Nutzer ihr Profilfoto gegen das von Aurora Picornell ein, darunter auch die frühere sozialistische Ministerpräsidentin Francina Armengol.

Reaktionen

Klare Worte fand auch die Vereinigung Memòria de Mallorca, die sich für die Aufarbeitung der Schicksale der Franco-Opfer einsetzt. "Nach den schwerwiegenden Ereignissen möchten wir unsere Empörung über das unerträgliche Verhalten des Parlamentspräsidenten Gabriel Le Senne zum Ausdruck bringen. Sein Mangel an Sensibilität und sein aggressives Verhalten, mit dem er öffentlich das Bild dreier Frauen, die Opfer der Repressionen Francos waren, verschmäht, zeigt offen seine Haltung und die seiner Partei Vox, die mit einer berüchtigten Diktatur sympathisiert, die sie nicht verurteilt, sondern herbeisehnt", heißt es in einer Mitteilung. "Wir fordern den sofortigen Rücktritt von Le Senne, eines Präsidenten, der hinreichend bewiesen hat, dass er seines Amtes nicht würdig ist."

Auch Prohens müsse sich öffentlich erklären, wenn sie nicht Komplizin des Geschehens sein wolle. Man erwäge, rechtliche Schritte einzuleiten. Ähnlich äußerte sich der zuständige Minister der spanischen Zentralregierung, Ángel Víctor Torres mit Verweis auf das spanische Gesetz zur Vergangenheitsbewältigung. Am Mittwochvormittag äußerte sich schließlich auch der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez (Sozialisten), bezeichnete das Verhalten von Le Senne als "abscheulich" und forderte seinen Rücktritt.

Das sagt Le Senne

In einer Erklärung des Balearen-Parlaments rechtfertigt Le Senne derweil sein Verhalten mit seiner Aufgabe, die Neutralität des Parlamentsvorsitzes zu gewähren. Der Vox-Politiker räumt aber ein, dass es besser gewesen wäre, die Entfernung des Fotos Parlamentsangestellten zu überlassen. In keinem Fall sei es seine Intention gewesen, das Foto zu zerreißen.

Protest gegen Vox

Erst vor zwei Wochen hatten rund tausend Personen gegen die Bestrebungen der Balearen-Regierung demonstriert, das Gesetz zur Vergangenheitsbewältigung abzuschaffen. "Wir werden nicht erlauben, dass eine Bande von Faschisten, die niemanden repräsentieren und die Regierenden, die vor ihnen niederknien, uns unserer Rechte und Freiheiten berauben", erklärte der Journalist und Schriftsteller Sebastià Alzamora bei der Aktion in einem Manifest.

Für Donnerstagmorgen (20.6.) ab 10.30 Uhr rief die Vereinigung Memòria de Mallorca zu einer weiteren Kundgebung vor dem Sitz des Balearen-Parlaments auf. Man rechne mit einer massiven Beteiligung, hieß es.

Den Konflikt um die Vergangenheitsbewältigung auf Mallorca erklären wir in diesem Hintergrundartikel: