Vor einem Jahr entstand auf Mallorca ein riesiger Naturpark – seither ist nichts geschehen

Im Jahr 2023 wurde der Parc de Llevant um das Zehnfache seiner Fläche erweitert. Wiees weitergeht, ist offen

Panoramablick auf den Parc de Llevant im Nordosten der Insel.

Panoramablick auf den Parc de Llevant im Nordosten der Insel. / Nele Bendgens

Sophie Mono

Sophie Mono

Grüne Hügel, in der Ferne das Meer – der Ausblick vom Aussichtspunkt Mirador Parc de Llevant ist spektakulär. Hier, mitten im gleichnamigen Naturschutzgebiet, scheint die Zeit stillzustehen. Und in gewisser Weise tut sie das tatsächlich. Mehr als ein Jahr ist es her, dass die balearische Landesregierung das Schutzgebiet auf mehr als seine zehnfache Größe erweitert hat. Passiert ist seitdem wenig. Warum?

Viel Fläche, wenig Aktivität

Viel Fläche, wenig Aktivität / SOphie Mono

„Auf dem öffentlichen Landgut Sa Duaia lassen sich die Mitarbeiter der Parkverwaltung nicht mehr blicken, seit wir unsere Arbeit aufgenommen haben“, sagt Albert Ferrer leicht zynisch. Der Geschäftsführer der landwirtschaftlichen Agrarvereinigung Cooperativa d’Artà trifft die MZ am Aussichtspunkt, um sie mit nach Sa Duaia zu nehmen. Rund 500 Hektar umfasst das Gelände, das auch vor der Erweiterung des Schutzgebiets bereits Teil des Parc de Llevant war. Mittendrin liegt ein Landhotel mit angegliedertem Restaurant, ansonsten besteht Sa Duaia aus unbebauter Hügellandschaft, in weiten Teilen ungenutzt. „2003 verkaufte ein Privatbesitzer das Terrain an die Landesregierung. Jahrelang waren die Mitarbeiter der Forstbehörde Ibanat für die Instandhaltung von Sa Duaia zuständig, aber viel passierte da nicht“, erzählt Albert Ferrer von der Landwirtevereinigung. Seit Februar 2024 ist die Cooperativa nun Pächter des riesigen Landguts. „Wir nehmen der Parkverwaltung die Arbeit ab und zahlen ihr noch Miete dafür“, meint Ferrer.

Doch dem Geschäftsführer ist anzumerken, wie sehr ihm das Projekt am Herzen liegt. „Wir machen es nicht aus Gewinnstreben, sondern aus Idealismus. Reich werden kann man nicht mit dem, was wir hier tun.“ Sechs Jahre ist der Pachtvertrag gültig, die Ziele der Bauern sind vielfältig: Bienenvölker sollen angesiedelt, heimische Pflanzenarten wie Johannisbrotbäume gepflanzt werden. Zudem wird angestrebt, rund 50 mallorquinische Schafe sowie 20 mallorquinische Kühe und Esel in Sa Duaia weiden zu lassen. „Die echten Rassen von der Insel. Die sind zwar weniger produktiv als andere, aber wir wollen Tiere so halten wie unsere Vorfahren noch bis in die 1950er-Jahre“, sagt Ferrer. Und das alles in ökologischer Manier. „Außerdem würden wir gerne Picknicktische entlang des Fernwanderwegs GR 222 aufstellen, der durch das Gelände führt, ebenso wie einen Stand zum Direktverkauf, an dem wir unsere Produkte an Wanderer ausgeben können.“

Viel Bürokratie, wenig Schutz

All dies sei auch in einem Naturschutzgebiet möglich. „Die Tatsache, dass es ein Umweltschutzgebiet ist, hat wenig Auswirkung auf unsere Arbeit. Vor allem bedeutet es mehr Bürokratie“, so Ferrer. Jegliche Schritte müssen mit der Parkleitung abgestimmt werden. „Wir wollen, dass die Landschaft hier nicht verkommt. Leider ist genau das oft das Problem: Die Politik erklärt Gebiete zwar zu Schutzzonen, überlässt sie aber dann sich selbst. Das ist aus unserer Sicht kein Schutz. Vielmehr muss man investieren und sich kümmern.“

Genau das tun die Landwirte nun selbst. Die ersten 20 Schafe hat die Cooperativa bereits angesiedelt. Die Kühe sollen in den kommenden Wochen eintreffen. Zwei Angestellte kümmern sich um die Tiere, die Einfriedungen, die Anpflanzungen. „Wir geben hier unser Bestes. Hoffentlich lässt uns die Politik weiter gewähren.“

In einem anderen Projekt der Landwirte im Parc de Llevant sind bereits erste Erfolge zu verzeichnen: Weiter westlich, bei der Einsiedelei Ermita de Betlem, haben sie vor einem Jahr Bienenvölker installiert, Oliven- und heimische Obstbäume sind gepflanzt. Ferrer: „Auch das ist Landschaftsschutz.“

Während in Sa Duaia endlich etwas passiert, kann man das vom Rest des Naturschutzgebiets nicht behaupten. Wer Toni Muñoz auf das Thema anspricht, bekommt ein verächtliches Schnauben zu hören. Nicht, dass er kein Fan der Erweiterung wäre – im Gegenteil. Doch der Aktivist der Umweltschutzorganisation GOB ist nach all den Jahren fast müde zu betonen, wie wichtig die Schutzzone ist. Für die Artenvielfalt, das Ökosystem, den Erhalt der Landschaft. „Darüber besteht kein Zweifel. Deshalb wurde die Erweiterung ja vorgenommen. Das Problem ist, dass sie allein auf dem Papier besteht.“

Viel Fläche, wenig Aktivität

Viel Fläche, wenig Aktivität / SOphie Mono

Website auf altem Stand

Tatsächlich hat es die von der Politik einst so gefeierte Erweiterung noch nicht einmal bis in die digitale Öffentlichkeit gebracht. Auf dem offiziellen Portal der balearischen Naturschutzgebiete (balearsnatura.com), das über Routen und Besonderheiten in den Parks informieren soll, ist noch immer die veraltete Größe des Naturschutzgebiets verzeichnet. Und auch auf einer von Mitarbeitern des Parc de Llevant eingerichteten Website (parcnaturaldellevant. blogspot.com), die über Workshops und Veranstaltungen vor Ort informiert, bleibt der Vorstoß der linken Vorgängerregierung unerwähnt. Sie hatte die Erweiterung im Februar 2023 eingetütet, bevor sie abgewählt wurde.

Zur Erinnerung: Jahrzehntelang erstreckte sich das Naturschutzgebiet Parc de Llevant über eine 1.658 Hektar große Fläche im Gemeindegebiet Artà. Durch die Erweiterung umfasst es nun 10.917 Hektar an Land und 6.194 Hektar auf dem Meer. Das Gebiet reicht im Osten bis zu den beliebten Urlauberstränden Cala Agulla und Cala Mesquida (Gemeinde Capdepera) und im Westen – mit Unterbrechungen – bis zum Küstenort Son Serra de Marina und zur Finca Son Real (Gemeinde Santa Margalida).

Nicht nur im Netz, auch vor Ort sucht man größtenteils vergeblich nach Ausschilderungen, die darauf hinweisen, dass mittlerweile fast die gesamte östliche Nordküste Mallorcas zu einem Naturschutzgebiet zusammengefasst ist. Im Dünenwald der Cala Agulla bei Cala Ratjada beispielsweise sind lediglich verblichene Schilder zu finden, die auf ältere Schutzmaßnahmen hindeuten. Ähnlich ist es um die Infotafel am Parkeingang nahe der Siedlung Betlem bei Colònia de Sant Pere bestellt. Und auch die Broschüren, die im Informationszentrum s’Alqueria mitten im Park ausliegen, sind nicht aktualisiert. „Wir fordern mehr öffentliche Information“, sagt auch der sozialistische Bürgermeister von Artà, Manolo Galán. „Nur so fördern wir das Wissen um die Landschaft und letztlich auch die Wertschätzung.“

„Wir haben Schilder bestellt, sie werden bis Jahresende aufgestellt“, heißt es seitens des balearischen Landwirtschafts- und Umweltministeriums auf MZ-Anfrage in einer schriftlichen Stellungnahme. „In Son Bauló, Son Serra und S’Estanyol ist das bereits geschehen.“ Die Verantwortlichen der seit einem Jahr wirkenden konservativen Landesregierung geben sich recht wortkarg beim Thema Parc de Llevant.

Für den Online-Auftritt sei ein Relaunch geplant, der ebenfalls „noch 2024“ vonstatten gehen solle. Dazu der Verweis auf die wenig besucherfreundliche Seite der balearischen Landesregierung (caib.es). Tatsächlich ist dort die Erweiterung des Naturschutzgebiets zumindest vermerkt, allerdings ausschließlich auf Spanisch und Katalanisch.

Auch konkrete Strategien, mit denen der neue Leiter des Naturschutzgebiets, Antoni Martínez, die Verwaltung zu gestalten gedenkt, will man nicht nennen. „Das Hauptziel der Landesregierung besteht in der Vereinbarkeit der öffentlichen Nutzung mit dem Schutz der Umwelt“, heißt es allgemein. Wie genau diese aussehen soll, bleibt offen.

Wenig Priorität, wenig Personal

„So oder so ist es die Pflicht der öffentlichen Verwaltung, die Schutzgebiete zu überwachen, die Besucher zu lenken und die Öffentlichkeit genau über alle Schritte und Maßnahmen zu informieren“, betont Muñoz. Umweltaktivisten hatten sich in puncto Parc de Llevant bereits von der linksgrünen Regierung enttäuscht gezeigt, die von 2015 bis 2023 auf den Balearen das Sagen hatte. Jahrelang mussten sie um die Erweiterung kämpfen.

Ihnen zur Seite stand Cristian Ruiz. Von 2016 bis 2021 war der Biologe selbst Leiter des Parc de Llevant. Bei den Erweiterungsplänen stieß er anfangs auf viele Widerstände auch aus den eigenen Reihen. „Mir wurde gesagt, ich spinne. Dabei war das Erste, das mir bei der Übernahme der Parkleitung durch den Kopf ging: Es reicht nicht, ein kleines Gebiet zu schützen, wenn rundherum jegliche Schutzmaßnahmen missachtet werden“, so Ruiz in einem MZ-Interview im August 2022.

Letztlich erreichte er sein Ziel. „Aber was nutzen strengere Regulierungen für ein größeres Gebiet, wenn diese dann ebenfalls nicht eingehalten werden“, so Muñoz vom GOB. „Die Landesregierung hat es versäumt, das Personal aufzustocken. Dabei war es schon zu dem Zeitpunkt nicht ausreichend für die Aufgaben, als die Fläche noch zehn Mal kleiner war.

Tatsächlich sind nach wie vor 23 Mitarbeiter – teils vom Schreibtisch aus, teils vor Ort – dafür zuständig, dass im Park alles rechtens zugeht. Sie sind Ranger, Parkwächter, Dozenten und Landschaftspfleger zugleich. „Die Zahl der Mitarbeiter wurde seit der Erweiterung nicht erhöht“, bestätigt das Landesministerium. Man denke aber derzeit über eine „Neuorganisation der Schutzgebiete“ nach.

Viel Fläche, wenig Aktivität

Schafe im Parc de Llevant. / Nele Bendgens

Eine Neuorganisation, die dringend notwendig zu sein schein. Es hapert bei den Projekten, die die Politik nicht in die Hand von Experten übergeben hat. Das zeigt sich auch beim 180 Hektar umfassenden Landgut Es Canons zwischen Colònia de Sant Pere und Betlem. 6,7 Millionen Euro hatte die Linksregierung im Juni 2018 für den Kauf hingeblättert, bezahlt aus Einnahmen der Touristensteuer. Ein Info-Zentrum sollte hier entstehen. Doch wer aktuell zum Haupthaus auf dem Grundstück gelangen will, wird von Bauzäunen gestoppt. Die Nebengebäude liegen in Ruinen. „Wir planen hier Weiterbildungen für die Forstbehörde. Zudem soll eine Freizeitstätte für den das breite Publikum entstehen“, heißt es seitens der Regierung. Ein Zeitplan wird nicht genannt.

Um einen alten Zeltplatz in der Nähe ist es nicht besser bestellt. Eigentlich sollte er zu einem modernen Campingzentrum mit Duschhäuschen, Empfangsgebäude und Parkplatz für 250 Besucher ausgebaut werden. Doch Proteste von Anwohnern und Umweltschützern stoppten das Vorhaben im Januar 2021. In den vergangenen Monaten machten Bagger die damals bereits aufgestellten Gebäude dem Erdboden gleich, übrig ist auf dem gut 13.000 Quadratmeter großen Terrain praktisch nur noch ein Hauptgebäude, das immer mehr verkommt.

Gedränge in der Cala Agulla

Derweil fallen die Massen wie jedes Jahr ab Mai an den beliebten Naturstränden Cala Mesquida und Cala Agulla ein. Dass die Buchten seit vergangenem Jahr zum Naturschutzgebiet gehören, ist hier nicht zu spüren. Ganz im Gegenteil: In diesem Sommer will das zuständige Rathaus von Capdepera an der Cala Agulla sogar 400 Strandliegen und -schirme mehr aufstellen. Dabei wurde die Playa schon im vergangenen Jahr bei einem Ranking des US-Reiseportals FloridaPanhandle.com zum „gefühlt vollsten Strand der Welt“ gekürt.

Auch der Dünenparkplatz hinter der Traumbucht zieht wie eh und je Blechlawinen an – dabei verstieß seine Existenz bereits vor der Erweiterung des Naturschutzgebietes gegen Umweltauflagen. „Es wird der letzte Sommer sein, in dem er in Betrieb ist. Für nächstes Jahr müssen wir eine andere Lösung finden“, so die zuständige Bürgermeisterin von Capdepera, Mireia Ferrer, auf MZ-Anfrage. Bis dahin bleibt auch hier erst mal alles beim Alten.

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